Widerstand in der Lagune

Venedig und das venezianische Festland

Auf dem Markusplatz nach der Befreiung Venedigs Gedenktafel am Riva dei sette martiri

Links: PartisanInnen nach der Befreiung Venedigs auf dem Markusplatz am 5. Mai 1945. Im Hintergrund ist der von einem Bretterverschlag geschützte Markusdom zu sehen
Rechts: Am Riva dei sette martiri ist am Haus zur Via Garibaldi eine Gedenktafel für die sieben von den Deutschen erschossenen Partisanen angebracht.  (Vergrößern: auf die Bilder klicken)

Der Widerstand in Venedig war durch seine einzigartige städtebauliche Situation gekennzeichnet. Das Stadtzentrum von Venedig bot nur begrenzt Raum. In den vierziger Jahren wohnten hier über 100.000 Menschen. Ab Sommer 1943 stieg die Anzahl der Einwohner weiter an, da immer mehr Menschen vor Krieg und Bombardierung flüchteten. Alle gingen davon aus, dass Venedig aufgrund seiner Kulturgüter von den Alliierten nicht bombardiert werden würde. Auch die Deutschen waren aus diesem Grund massiv in Venedig präsent. Im Sommer 1944 lebten bereits über 200.000 Personen in der Stadt.

Zudem waren in Venedig die Zweigstellen verschiedener Behörden und Ministerien der „Repubblica Sociale Italiana“ untergebracht, des Marionettenstaats, der nach dem 8. September mit Mussolini an der Spitze geschaffen worden war und unter der Kontrolle des Botschafters Von Rahn stand, dem Bevollmächtigten der Nationalsozialisten. Die Angestellten und Funktionäre in der Stadt waren somit eng mit dem faschistischen Regime verbunden, und die hohen Sicherheitsvorkehrungen stellten eine Gefahr für die Widerstandsbewegung dar. Trotzdem gelang es, ein konspiratives Netz aufzubauen, zwar klein, aber überaus tatkräftig, das unter der Aufsicht des lokalen CLN (Comitato Liberazione Nazionale) stand, des Nationalen Befreiungskomitees.

Die Resistenza musste auch die geografische Lage Venedigs berücksichtigen, denn es gibt kein eigentliches Stadtrandgebiet, weil die Stadt vom Wasser der Lagune umgeben ist. Der einzige Fluchtweg zu Land, die Eisenbahn- und Autobrücke, war leicht zu kontrollieren und machte jeden Rückzugsversuch zu einem gefährlichen, wenn nicht selbstmörderischen Unternehmen. Ebenso gefährlich war es, durch die Lagune zu flüchten, denn auch diese war von den Deutschen relativ leicht zu kontrollieren. Diese Situation ließ den Anführern der lokalen Widerstandsbewegung wenig Spielraum, und so wurde die offene Auseinandersetzung zwischen der Resistenza und den Besatzern in der Lagunenstadt bis auf wenige Ausnahmen vermieden.

Der Widerstand formiert sich

Wie überall in Italien setzten die ersten Aktionen nach dem 8. September 1943 ein, als es in erster Linie darum ging, die italienischen Soldaten davor zu schützen, von den Deutschen gefangen genommen und getötet oder deportiert zu werden. Gleichzeitig wurden Waffen aus unbewachten Depots entwendet und an sicheren Orten versteckt.

Nach dem 8. September wurde Italien vollständig von deutschen Truppen und den italienischen Faschisten kontrolliert, und es galt, die wenigen zur Verfügung stehenden Ressourcen sorgfältig einzusetzen.

Im Oktober 1943 gründete sich die Partisanenformation “Venezia” mit etwa 30 aktiven Mitgliedern. Sie war die bedeutendste Einheit Venedigs.

Die ersten Aktionen fanden auf dem Festland statt und richteten sich vor allem gegen das Eisenbahnnetz um die Stadt Mestre. Später verlegten die Partisanen unter dem Kommando von Alfredo Vivian ihre Aktivitäten auf das Gebiet um San Donà di Piave. Die Gruppe, die in Venedig blieb, hatte immer mehr Zulauf und widmete sich hauptsächlich der Flugblattverteilung und Gegenpropaganda.

Gefängniss von Santa Maria Maggiore Gedenksäule am Bahnhof in Venedig

Links: Gefängniss von Santa Maria Maggiore
Rechts: Am Bahnhof erinnern die Namen der ermordeten Antifaschisten an den Widerstand in der Lagunenstadt. Die Säule steht am Gleis 8

Bewaffnete Aktionen und faschistische Reaktion

In Venedig waren bis Juli 1944 keine bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den nazifaschistischen Truppen und den Partisanen zu verzeichnen: Der Kommissar der Partisanenformation in Venedig, Giuseppe Turcato, wusste nur zu gut, dass die faschistische Nationalgarde in kürzester Zeit jegliche konspirative Tätigkeit hätte auslöschen können. Deshalb versuchte man durch indirekte Aktionen die Präsenz des Widerstands zu manifestieren.

Doch im Juli 1944 änderte sich das. Einer bewaffneten Gruppe, die vom so genannten “Roten Grafen” Giovanni Tonetti finanziert wurde, gelang unter der Führung des Partisanen Aldo Varisco eine Serie von Attentaten gegen die faschistischen Truppen in der Stadt. Am 6. Juli tötete Vittorino Boscolo den Marinefeldwebel Bartolomeo Asara, der die Rekrutierung der Soldaten für das faschistische Regime befehligte. In der Nacht davor waren zwei Mitglieder der faschistischen Partei im Stadtteil Dorsoduro getötet worden.

Die Reaktion der Faschisten erfolgte sofort: Angeführt vom Kommandanten der faschistischen Nationalgarde Salvatore Morelli töteten sie zwei Nächte später fünf Antifaschisten im Stadtteil Cannaregio. Diese Racheaktion wurde nach Kriegsende von einem Gericht für illegal erklärt und gegen zwei der Beteiligten wurde die Todesstrafe verhängt.

Am 26. Juli zündete eine Gruppe unter dem Kommando von “Kim” Arcalli eine Bombe im Palast Ca’ Giustinian, der Bezirkskommandozentrale der faschistischen Nationalgarde. Das Gebäude wurde fast vollkommen zerstört, und 14 Menschen starben unter den Trümmern. Die Vergeltungsmaßnahme erfolgte nur zwei Tage später: Am 28. Juli wurden 13 Partisanen aus dem Gefängnis geholt und auf den Trümmern des Palastes erschossen, der jüngste war der 18-jährige Francesco Biancotto. Nach seinem Tod wurde die Partisanenformation „Venezia“ in Brigade „Biancotto“ umbenannt.

Daraufhin waren die Widerstandsstrukturen in Venedig erst einmal zerschlagen, und allein schon der Aufenthalt in der Stadt war äußerst gefährlich. Die Resistenza hatte einen Schlag erlitten, von dem sie sich erst Anfang 1945 wieder erholen sollte.

Deutsche Repressalien: Die Erschießungsaktion an der Riva dei sette martiri

Die Serie der Vergeltungsmaßnahmen riss jedoch nicht ab: Ein Wachposten der deutschen Marine, die an der Riva dell’ Impero am Markusbecken ankerte, erschien am Morgen des 2. August 1944 nicht zum Appell.

Das deutsche Kommando vermutete sofort einen Anschlag und leitete sogleich die entsprechenden Repressalien ein. Am Morgen des 3. August wurden sieben Männer, darunter Alfredo Vivian, ans Ufer gebracht und vor den Augen hunderter eigens zu diesem Anlass herbeigeschaffter Menschen erschossen. Wenige Tage später wurde der Körper des Wachpostens gefunden. Er war betrunken ins Wasser gefallen und dabei gestorben.

In den Herbst- und Wintermonaten 1944/45 war es ruhig in der Stadt, die Widerstandsbewegung arbeitete daran, mit ihren Verlusten fertig zu werden und den Aufstand zu organisieren. Um zu zeigen, dass sie dennoch präsent war, organisierte Turcato die so genannte “Beffa del Goldoni”, den Streich des Goldoni. Hierbei wurde das nach dem berühmten venezianischen Schriftsteller Carlo Goldoni benannte Theater im März 1945 während einer Aufführung von Partisanen besetzt und die anstehende Befreiung verkündet – vor den Augen der nationalsozialistischen und faschistischen Repräsentanten, denen auf Grund der spontanen und schnellen Aktion eine Reaktion nicht möglich war.

Gedenktafel für die 13 ermordeten Partisanen   Parisaninnendenkmal in Venedig

Links: Gedenktafel für die 13 ermordeten Partisanen  
Rechts: Denkmal für die Frauen der Resistenza in Venedig

Die Befreiung Venedigs

Der Partisanenaufstand in Venedig begann am 26. April 1945 mit der Einnahme des Gefängnisses von Santa Maria Maggiore durch die politischen Gefangenen und die Gefängniswärter. Daraufhin besetzten die bewaffneten Einheiten der Partisanen die Zentren der faschistischen Macht, deren Vertreter sich nahezu kampflos ergaben. Nur die deutschen Besatzer zogen sich nicht zurück und drohten vielmehr damit, die Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Nach langen Verhandlungen wurde am 28. April eine bedingte Kapitulation vereinbart, was bedeutete, dass die deutschen Truppen die Stadt verließen, ihre Waffen jedoch behalten konnten. Die Truppen der Alliierten erreichten das bereits befreite Venedig am Nachmittag des folgenden Tages.

Die Situation in Mestre

Im Oktober 1943 stellte der bedeutende Eisenbahnknoten in Richtung Brenner in der Stadt Mestre das primäre Angriffsziel der Widerstandsbewegung von Venedig dar. Ab Anfang 1944 waren Sabotageaktionen angesichts der massiven Präsenz und Kontrolle der Wehrmacht nicht mehr möglich. Die Widerstandsbewegung verlagerte daher ihren Schwerpunkt in Richtung der Cansiglio-Berge und des Cellina-Tals, wo es der Resistenza gelang, einige Gebiete zu befreien und Partisanenrepubliken auszurufen.

Die Lage änderte sich Ende 1944, als sich die deutschen Truppen den aktiven Partisanengruppen in der Alpenregion zuwandten und groß angelegte Durchkämmungsaktionen durchführten. Die Partisanen mussten das Gebirge verlassen. Dies geschah auch im Umland von Venedig. Vielen gelang es, diesen Aktionen zu entkommen und sich in ihren ursprünglichen Wohnorten zunächst in Sicherheit zu bringen.

Auch Erminio Ferretto, ein Veteran aus dem spanischen Bürgerkrieg, kam so nach Mestre. Zusammen mit seinen Gefolgsleuten der Brigade Garibaldi gründete er das Bataillon „Felisati”, das den Namen eines der Ermordeten Partisanen von Ca’ Giustinian trug. Sie operierten auf dem Festland um Venedig und führten Anschlägen gegen Kasernen der faschistischen Truppen durch. In der Nacht zwischen dem 5. und 6. Februar 1945 wurde Ferretto von Faschisten ermordet. Die Überlebenden seiner Gruppe nannten sich nun Brigade „Ferretto” und kämpften zwischen dem 27. und 29. April in Mestre und Marghera, das schließlich vor dem Eintreffen der alliierten Truppen befreit wurde.

Giulio Bobbo

(Übersetzung Beate Bennewitz-Carpino)

Hinweise für Venedigreisende: Der Palast Ca´Giustinian stand im Stadtteil San Marco, westlich vom Markusplatz am Campo San Moisè. Heute steht an seiner Stelle der Neubau des Nobelhotels Bauer. Die Gedenktafel für die 13 Ermordeten befindet sich in der angrenzenden Calle dei 13 martiri, links vom Hotel.

Im Stadtteil Cannaregio gibt es für jeden der am 8. Juli 1944 ermordeten Antifaschisten am Ort ihrer Ermordung eine Gedenktafel. Sie sind in der Calle dei Sartori, in der Calle Colombina (heute auch nach dem ermordeten Piero Favretti benannt), in der Calle delle Vele und am Fondamenta delle Chiesa/Fondamenta San Felice.

Im Foyer des Teatro Goldoni in der Calle Teatro am Campo San Lucca befindet sich eine Tafel zur Erinnerung an die im März 1945 durchgeführte Aktion der PartisanInnen.

An der vaporetto-Haltestelle „Giardini“ befindet sich ein Denkmal für die Partisaninnen in der Region Veneto aus den 70iger Jahren. Das erste Denkmal für die Frauen im Widerstand wurde 1961 durch einen neofaschistischen Anschlag zerstört, nur der Betonsockel mit Inschrift steht noch, zu sehen in den dahinter liegenden Gärten. Eine Kopie der damaligen Figur befindet sich heute im Museum für Moderne Kunst im Ca´Pesero am Canal Grande.